Ich war mal in Kur, weil meine Mutter eine Auszeit brauchte und ich nicht allein Zuhause bleiben konnte. Früher, als minderjähriger Richard war dieses Vorhaben noch einfacher realisierbar. Da besuchten wir Mutter Kind Kuren. Mutter konnte mich professionellen Therapeutenhänden überlassen und sich dann selbst erholen. Diese Therapiestunden haben meinen kleinen Körper seeehr gut getan und das hat dann auch ein paar Wochen angehalten. Aber sobald man die Schelle zum Erwachsenwerden überschritten hat, gibt es für den Körper nur noch schwer eine Möglichkeit in den Jungbrunnen zu hüpfen und vor allem nicht so, dass man in einer solchen Einrichtung sicher ist, dass man ausreichend versorgt wird. Denn wir ahnten schon, dass ich, wenn ich allein in eine Kureinrichtung mit meinen Ansprüchen an Pflege und Therapie ging, ich das Zimmer oder sogar das Bett nur selten verlassen konnte, weil keine pflegenden Hände in der Nähe waren.
Durch Zufall rief dann eine nette Dame einer Kureinrichtung an, dass wir noch ein Bett für meine Mutter dazu buchen könnten gegen einen täglichen Aufpreis, was wir zähneknirschend annahmen, um überhaupt mal rauszukommen. Meine erschöpfte Begleitung und ich landeten schließlich in einer nebelverhangenen Stadt auf einem Hügel, auf dessen Spitze eine neurologische Rehaklinik thronte. Dort wurde ich dann in Phase C eingeteilt, was für meinen Hilfebedarf eigentlich noch zu gering war, ich aber für die Phase B, in welcher Komapatienten oder schwere Schlaganfälle behandelt werden, war ich geistig zu fit. Trotzdem hatte ich das Gefühl ein Gefängnis zu betreten, nicht zuletzt deswegen, weil ich schon bald mitbekam, dass die Patienten auf der Station nur selten das Außen sahen, wenn sie sich nicht selbst helfen konnten. Das Pflegepersonal war an ihrer Belastungsgrenze und flitzte regelrecht von Zimmer zu Zimmer. Fertigten die Bewohner in Höchstgeschwindigkeit ab, wobei häufig die Freundlichkeit auf der Strecke blieb. So wurde ein junger Mann, der ungefähr in meinem Alter war und auch eine ähnliche Körperverfassung wie ich besaß, regelmäßig angeschnauzt, wenn er den Urin nicht angehalten hatte. Sogar ich wurde einmal unwirsch gefragt, was ich außerhalb der Stadion machte, als meine Mutter und ich Essen waren, weil ich Geburtstag hatte.
Trotz der seltsamen Behandlungen durch das Personal, fühlte ich mich das erste Mal bei den Therapieeinheiten richtig verstanden und lernte meinen Körper richtig kennen. Die Zeiten waren leider viel zu kurz. Ich hatte gerade den Rollstuhl verlassen, da waren die 15 Minuten auch schon um und ich musste zur nächsten Einheit.
An den Wochenenden und an den Abenden, gab es dann Programm, wie Konzerte, Malkurse und Gottesdienste. An einen dieser Gottesdienste musste ich jetzt wieder denken, als es mir nicht gut ging. Ein junger Mann spielte Klavier und erzählte von seiner Arbeit in Indien, wo er mit Kranken und Sterbenden zu tun hatte.
Er sagte mit gutmütigem Blick: “ Eines ist klar: Ein Leben ohne Leid gibt es nicht. Das kann uns Gott nicht nehmen. Was er aber uns Menschen gibt, ist die Kraft wieder aufzustehen und Laufen zu lernen. Dabei ist nicht gemeint, dass die Beine funktionieren und der Körper wieder gesund wird. Innerlich sollte man sich wieder aufrichten. Dabei ist auch jedes Jammern, schreien und klagen erlaubt. Auch wenn man nur noch kriechen kann, ist das wunderbar. Aber für liegen bleiben und sich aufzugeben, ist das Leben zu kostbar. Gott und viele andere Menschen sind bei uns auf dem Weg des Leidens und des wieder Laufen Lernens. Man ist nie allein.“
An diese Worte musste ich in letzter Zeit oft nach meiner Corona Infektion denken. Nun humpele ich wieder. ich bin froh drüber
R.Pfund
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